Das Interview mit Heike Hänsel erschien auf spanisch bei Prensa Latina. Darin berichtet die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von ihrer Reise nach Kuba, den Vormarsch der Rechten in Lateinamerika und das Foro de São Paulo in Havanna
Frau Hänsel, Sie besuchen dieser Tage als deutsche Abgeordnete ihre Kolleginnen und Kollegen der kubanischen Nationalversammlung. Warum diese Reise?
Weil Kuba für die deutsche Linke immer eine große Bedeutung hatte und ich mich vor Ort auf Arbeitsebene von dem Stand der Aktualisierung des Wirtschaftsmodells informieren möchte. Für mich ist wichtig, in direktem Kontakt mit dem kubanischen Kolleginnen und Kollegen die Chancen und Herausforderungen Kubas auf internationaler Ebene zu besprechen, vor allem nach dem Politikwechsel in den USA. Denn auf der einen Seite haben wir ein neues politisches Abkommen mit der EU, auf der anderen Seite einen völlig unberechenbaren US-Präsidenten.
Wenn Sie in Havanna sind, wird auch das Foro de São Paulo stattfinden. Welche Bedeutung hat dieses Treffen linker Parteien und Organisationen für Sie als deutsche Linke?
Die lateinamerikanische Linke war für die progressiven Kräfte in Europa immer wieder ein Bezugspunkt. Das fängt ja von der Studentenbewegung 1968 in Westeuropa an und setzte sich über die Solidaritätsbewegungen während der Diktaturen in Südamerika später fort. Sie müssen auch sehen, dass aus Lateinamerika mit dem linken Aufbruch in den 1990er Jahren wichtige Impulse kamen, während sich einige Linke bei uns am Ende der Geschichte wähnten. Das Foro de São Paulo ist nach wie vor das wichtigste Treffen auf dem lateinamerikanischen Kontinent, für die aktuelle Bestandsaufnahme der Situation der Linken in Regierung und Opposition.
Zuletzt hat in Lateinamerika aber wieder die politische Rechte an Boden gewonnen. Enttäuscht Sie das?
Es ist besorgniserregend und zeigt, dass die Mitte-Links-Regierungen zu lange die rechte Reaktion unterschätzt haben. Und auch die skrupellosen Einmischungen der USA und EU. Gleichzeitig wurden auch eigene ökonomische Fehler gemacht, die die progressiven Regierungen von Teilen der Bevölkerung und Basisbewegungen entfernt haben. Auch die Linke in Europa war zu schwach, um die progressiven und hoffnungsgebenden Entwicklungen in Lateinamerika zu stärken und zu verteidigen. Daraus müssen wir lernen. Trotzdem gibt es Hoffnung, wenn ich Kuba und jetzt Mexiko sehe. Auch in Kolumbien war das Wahlergebnis für Gustavo Petro ein großer Erfolg.
Auch haben linke Regierungen Spuren hinterlassen, wie zum Beispiel in Brasilien und Argentinien, die Bevölkerung kämpft und ist nicht Willens, das Land der Oligarchie zu überlassen. Es ist ja auch für uns in Europa wichtig, die neoliberale Oligarchie zu überwinden, weil wir in einem Zentrum der imperialistischen und neokolonialen Macht radikale Ansätze brauchen – oder in der Bedeutungslosigkeit versinken werden.
Sehen Sie Parallelen zum Aufstieg der neuen Rechten in Europa?
Ja, natürlich. Gerade die Auseinandersetzung mit der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) bestätigt doch, was ich gerade geschildert habe. Es ist ein Armutszeugnis für uns Linke, wenn ein Teil der Arbeiterschaft und des Prekariats diese geradezu rechtsradikale Partei wählt, die in den Umfragen gerade gefährlich nahe an die Werte der Sozialdemokraten rückt. Das Erstarken der Rechten in ganz Europa zeigt auch das Versagen der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien, die ein politisches Vakuum hinterlassen haben. Nur wenn die ehemals sozialdemokratischen Volksparteien sich vom Neoliberalismus lossagen und eine wirklich sozialistische Utopie entwickeln und wieder eine Politik für die ArbeiterInnen und die Ausgebeuteten machen, können sie Glaubwürdigkeit und Unterstützung zurückgewinnen.
Lateinamerika ist in der Auseinandersetzung mit der Rechten in negativen Sinne ein Stück weiter. Demokratisch gewählte Regierungen wie die von Dilma Rousseff in Brasilien wurden gestürzt, Daniel Ortega in Nicaragua soll folgen. Wie sehen Sie diese Entwicklung von Europa aus?
Wir schauen dabei vor allem auf die Rolle unserer Regierungen, Parteien und Stiftungen. Von Parlament aus können wir eine Kontrollfunktion ausüben. Das betrifft etwa das Vorgehen der deutschen politischen Stiftungen wie der Liberalen und der ihnen nahestehenden Friedrich-Naumann-Stiftung bei Putsch gegen Präsident Mel Zelaya 2009 in Honduras. Dieser Umsturz wurde von dem damaligen Büroleiter der Naumann-Stiftung in Tegucigalpa, Christian Lüth, politisch unterstützt. Lüth arbeitet heute übrigens in führender Position für die AfD.
In Brasilien spitzt sich derzeit der Kampf um die Freilassung des aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im Oktober, Luiz Inácio Lula da Silva zu. Was weiß man in Deutschland davon?
Unsere Fraktion hat den Prozess gegen Lula und seine Inhaftierung aufmerksam verfolgt und wir stehen auch in Kontakt mit der Solidaritätsbewegung für Lula hier vor Ort. Im Gespräch mit dem brasilianischen Botschafter in Deutschland, Mario Vilalva, habe ich unsere die Kritik an dem Politprozess auch sehr deutlich gemacht. Ich denke, dass unsere Aufgabe aber vor allem auch darin besteht, die Widersprüche in der deutschen Außenpolitik aufzuzeigen. Denn während Juristen auf fast 450 Seiten die Unregelmäßigkeiten und Verfahrensverstöße im Lula-Prozess behandelt haben, antwortete uns die deutsche Regierung, sie sehe „keine Anhaltspunkte, das Verfahren als politisch motiviert oder rechtsstaatswidrig anzusehen“. Da musste sie schon sehr angestrengt wegschauen!
Mit welchen Erwartungen sind Sie also nach Havanna gefahren?
Ich erwarte mir viele authentische Informationen aus den Ländern, die mir eine aktuelle Einschätzung der Kräfteverhältnisse ermöglichen. Ein großes Anliegen ist mir die Zukunft des Friedensprozesses in Kolumbien, den ich sehr eng verfolge. Hier stehen wir als europäische Linke auch in der Pflicht, weil die Wirtschafts- und Rohstoffinteressen unserer Industrie ein bedeutender Faktor sind. Gespannt bin ich auf die Einschätzung zum Wahlsieg von López Obrador in Mexiko, wo illegal exportierte deutsche Waffen in den vergangenen Jahren viel Leid provoziert haben. Und ich möchte absprechen, wie wir die weiterhin stabile Allianz zwischen der EU und den USA im Kampf gegen die lateinamerikanische Linke brechen können. Mir ist sehr bewusst, dass wir dabei eine große Verantwortung haben.